Falkendurchquerung
Bei absolutem Traumwetter unternehmen Julian und ich heute eine erste gemeinsame Bergfahrt. Nach einigem Abwägen verschiedener Touren und Routen haben wir uns für eine Überschreitung des Risser Falk entschieden. Auf diesen Gipfel habe ich bereits bei meinem Besuch des Steinfalk im Jahr 2012 einen Blick geworfen. Der Übergang auf der Schneide zwischen Talelekirchkar und Blausteigkar sah verlockend leicht aus und auch sonst sollten laut AV-Führer keine allzu großen Schwierigkeiten drohen. Allerdings konnte ich damals nicht einmal erkennen, wie man in nordwestlicher Richtung vom Gipfelaufbau des Steinfalk hinunter kommen könnte. Dabei gibt es hier sogar rote Markierungspunkte, wie ich nun weiß. Später habe ich die Gipfel der Falkengruppe als doch zu schwierig verworfen, bis ich mir die Routenoptionen auf Julians Anregung nun noch einmal genauer angesehen habe.
Julian kommt morgens um 07:00 Uhr mit dem Rad zu mir. Die Autofahrt verläuft glatt. Allerdings vergesse ich dabei das Tanken. Bei Erreichen des Parkplatzes prophezeit die Anzeige eine verbleibende Reichweite von 30 km. Die nächste Tankstelle in Tölz ist 32 km entfernt.
Um 08:40 Uhr starten wir vom Parkplatz P4 in Richtung Falkenkar. Am Ende der Forstraße begegnen wir einer überraschenden Anzahl anderer Menschen. Da auf Hikr stets die Einsamkeit der Falkengruppe gerühmt wird, habe ich das nicht erwartet. Zwar sehen wir die jetzt Überholten heute nicht mehr, treffen aber auch im oberen Falkenkar und am Gipfelaufbau noch etwa acht weitere Bergsteiger. Vielleicht ist es mit der Einsamkeit in diesem Teil des Karwendels vorbei, vielleicht war es nur am Nordgrat jemals wirklich einsam, vielleicht ist heute auch einfach ein Ausnahmetag.
Julian hat sich verschiedene Beschreibungen des Aufstiegs im Falkenkar genau angesehen und der Weg ist ohnehin durch Steinmanndl deutlich markiert. So haben wir keine Probleme, den bereits nach wenigen Metern im Bachbett links abzweigenden Steig zum Wasserfall und weiter hinauf ins obere Falkenkar zu finden.
Im oberen Falkenkar ragt von Westen ein klotziger Vorbau in das Kar, der über eine schmale Rippe mit der eigentlichen Umrahmung des Kars verbunden ist. Durch eine Engstelle gelangen wir in den hinter dem Klotz versteckten obersten Teil des Kars. Erst in diesem letzten Abschnitt wird der Untergrund arg schottrig und der Aufstieg mühsam. Auf der Ostseite donnern wahre Steinlawinen eine Rampe vom Laliderer Falk hinab, glücklicherweise in sicherer Entfernung.
Aus dem hintersten Winkel steigen wir durch eine begrünte Rinne hinauf zur westlichsten Scharte in der besagten Rippe. Die schmale Scharte führt auf die Nordseite der Rippe, wo es steil ins Falkenkar hinunter pfeift. Eine Beschreibung im Internet identifiziert diese Scharte mit Verweis auf Unstimmigkeiten in AV-Karte und -Führer als »Grüne-Rinn-Scharte«, was phänomenologisch nachvollziehbar ist, nach meinem Verständnis aber trotzdem falsch.
Aus der Scharte müssen wir auf einem schmalen Grasband leicht absteigend etwa 30 m weit zur eigentlichen Karwand hinüberqueren. Vor diesem in allen Beschreibungen als gruselig erwähnten Wegstück hatte ich im Vorfeld Respekt, doch jetzt erweist es sich als weitgehend harmlos. Meine zweijährige Tochter würde ich da ungern alleine rüberspazieren lassen, aber als Erwachsener kann man das stolperfrei hinbekommen. Anschließend müssen wir noch etwa 20 Höhenmeter zum Kamm hinaufsteigen, wofür wir nicht die ganz linke Schotterrinne sondern die steile Grasflanke dahinter wählen. Hier sind die Graspolster dick, stabil und gut gestuft, sodass das Höhersteigen trotz der Exponiertheit problemlos ist. Dann steigen wir an der von hier nicht besonders schartenhaft wirkenden »Grüne-Rinn-Scharte« aus dem Falkenkar aus.
Nachdem die als solche empfundene Schlüsselstelle der Tour nun überwunden ist, fühle ich mich gelöst und habe wunderbare Laune. Den folgenden Aufstieg über den Südostgrat des Risser Falk genieße ich sehr. Geboten werden sehr guter Fels und unterhaltsame Kletterstellen bis II. Die Wegfindung ist im AV-Führer stark verkürzt dargestellt aber relativ einfach. Zweimal geht es über etwas plattige Rampen ein Stück nach rechts hinunter und dann jeweils durch Rinnen wieder nach links hinauf zum Grat. Einmal steigt man links einige Meter hinab in eine Scharte. Einmal quert man ausgesetzt und fotogen an sehr guten Griffen ein paar Meter ostseitig an der Wand. In der Rinne mit Klemmblock klettere ich in Auf- und Abstieg unter dem Block durch. Einfacher ist wohl, den Block an der im Aufstiegssinne rechten Wand zu überklettern.
Dann erreichen wir den Gipfel. Die Aussicht ist überwältigend. Das Gipfelbuch ist von 1985. Ein nach uns eintreffender Bergsteiger findet seinen Namen darin auf der ersten Seite. Heute hat er den Risser Falk ebenfalls aus dem Falkenkar bestiegen, früher auch schon über den Nordgrat, die Ostwand und über weitere Routen. Ich bin beeindruckt.
Den Abstieg zurück zur Grüne-Rinn-Scharte vollziehen wir auf dem Aufstiegsweg. Die sich südlich anschließende Erhebung bis zu dem Punkt, an dem der Grat zum Laliderer Falk ansetzt, könnte man wohl überschreiten. Wir folgen jedoch unseren Vorgängern und der Beschreibung im AV-Führer und steigen ein Stück die grasige Rinne hinab, um gegenüber auf einer leicht erahnbaren Rampe zu einem Absatz mit Steinmann aufzusteigen. Hier gibt es sogar farbige Markierungen. Im Rückblick von diesem Absatz wird nun auch der Name »Grüne-Rinn-Scharte« verständlich. Eben diese Perspektive bot sich dem vom Steinfalk kommenden Hermann von Barth am 1. Juli 1870: »Ein unerwartetes, überraschendes Bild öffnete sich vor mir in der Tiefe: ein langgestrecktes, enges, mit grünem Wiesenboden überzogenes Thal lag vor mir, durch etwa 100' [30 m] Steilabsturz von meinem Standpunkte getrennt; mit starker Steigung aus dem Johannesthale sich heraufhebend, berührt es die Gratscharte, unmittelbar am Ostfusse des Falken.«
Der weitere Weg zum und über den Kamm zwischen Blausteigkar und Talelekirchkar zieht sich länger als erwartet. Vor dem Steinfalk steigen wir den grasigen Kamm bis ganz nach oben auf und finden dort einen auch mit Steinmännern markierten Duchschlupf auf den Nordwestgrat des Steinfalk, den wir kurz unterhalb des Gipfels erreichen.
Nun steigen wir auf dem Normalweg weiter nach Norden ab. Hinter der Arzklamm folgen wir noch ein Stück dem unteren Weg, der den Mahnkopf umgeht. Dann steigen wir direkt westlich weglos über die offenen Grashänge ab. Weiter unten im Wald müssen wir einigen Steilabbrüchen an den Rinnen ausweichen, was jedoch recht problemlos gelingt. Die beiden zur Ladizalm führenden Forstraßen kreuzen wir jeweils und treffen schließlich auf die von der Schwarzlackenhütte kommende Forststraße, der wir nach links bis zu der von der Ladizalm kommenden Forstautobahn folgen. Nun sind noch etwa 1:20 Stunden Fleißarbeit zu verrichten, dann erreichen wir den Parkplatz.
Der vermeintlich leere Tank hat mir den Tag über gewisse Sorgen bereitet. Bergab liefert die Füllstandsmessung nun aber beruhigendere Werte und wir erreichen Bad Tölz ohne Schieben. Der restliche Heimweg zieht sich wegen des dichten Verkehrs ziemlich.
Einige der Fotos stammen von Julian. Danke!
Parkplatz P4 - 958 m - 08:40 Uhr
Grüne-Rinn-Scharte - 2290 m - 11:37 Uhr
Risser Falk - 2413 m - 12:23 Uhr
Grüne-Rinn-Scharte - 2290 m - ca. 13:20 Uhr
Steinfalk - 2347 m - 14:52 Uhr
Parkplatz P4 - 958 m - 18:03 Uhr
Etwa 1800 Höhenmeter.