Geduldsfaden
An einem heißen Tag wählen Benjamin und ich die schattige Glaswand zum Ziel. Leo und Bruno haben beide von der Schönheit dieses versteckten Kleinods geschwärmt. Der Tag entwickelt sich allerdings zur Katastrophe von L bis Z.
Wir treffen uns um 08:30 Uhr am Luise-Kisselbach-Platz und starten gegen 09:45 Uhr vom Schwimmbad. Ich hatte den Weg gar nicht als so anhaltend steil in Erinnerung. Bis zur Abzweigung Richtung Glaswand brauche ich genau die im Topo angegebenen 40 Minuten. Bis zum Radldepot dauert es weitere 20 Minuten, nun weniger steil, dafür etwas schottriger. Der restliche Fußzustieg ist in einer Viertelstunde erledigt.
Ich bin zunächst sehr angetan von der Szenerie. Am Fuß der Glaswand ist es wunderschön und das Gelände ist auch recht bequem. Eine andere Seilschaft ist bereits am Werkeln, aber nicht in unserer Tour. Diese sieht unten etwas schmutzig und auch nass aus, aber das wird schon werden. Gegen 11:30 Uhr startet Benjamin in die ersten Seillänge.
1. SL, 24 m, 6-, Benjamin: Etwas schmutzig und feucht sind die ersten Meter und auch gar nicht so griffig, wie es zunächst scheint. Dafür Haken im Meterabstand. Das Topo befiehlt, den zweiten Haken rechts zu umklettern. Dass man nicht nach links ins Gras will, dürfte aber eh klar sein.
2. SL, 28 m, 7-, Daniel: Anfangs ganz nett, dann mit Rucksack in der Verschneidung tendenziell rampfig. Der Stand batzig wie jeder Stand hier.
3. SL, 25 m, 6-, Benjamin: Ganz nette Kraxelei.
4. SL, 25 m, 7-, Daniel: Vielleicht drei Meter wird noch geklettert, wobei ich mich rechts der Kante halte und sie erst ganz oben einnehme. Weiter links wohl leichter. Der gesamte Rest der Seillänge verläuft ohne jeden Felskontakt über steile Grasstufen und Erde.
5. SL, 23 m, 6-, Benjamin: Ein kurzer, geneigter, gut strukturierter Aufschwung, im Topo als »klassische Wandkletterei« bezeichnet. Dann auf den in den Batz eingelagerten Felsinseln nach links staksen (Topo: »Platte«).
6. SL, 23 m, 5, Daniel: Erwähnenswerte Hakenabstände und ein Gelände, in dem man wirklich nicht stürzen möchte. Da prüft man die »gutmütigen Schuppen« des Topos lieber etwas gründlicher, denn nicht alle sind fest. Klettern at its best. Als krönender Abschluss ein Hängestand. Dort kommt von oben ein Fixseil herab, wohl zur Unterstützung beim Abseilen. Über die Tour auch noch abseilen? Klar.
7. SL, 45 m, 4, Benjamin: Entlang des Fixseils geht es zum ersten Haken in mehreren Metern Höhe und dann nach links zu einem Zwischenstand, wo das Fixseil befestigt ist. Benjamin beendet die Länge hier, da wir das Topo nicht angesehen haben. So bleibt es an mir, nochmal etliche Meter eine steile Grasrampe hochzustapfen, bis irgendwann tatsächlich wieder Fels und der Stand kommen.
8. SL, 33 m, 6+, Daniel: Dafür gehe ich auch die nächste Länge. Hier muss wirklich geklettert werden, wieder vom Typ kleinteiliger Riss-Verschneidungs-Kamin-Rampf.
9. SL, 30 m, 5+, Daniel: Der erste Haken kommt erst nach den einzigen Klettermetern dieser Seillänge. Benjamin mag das nicht klettern, also gehe ich. Mit der einzigen Schlinge, die ich am Gurt habe, sichere ich zwischendrin an einem Baum. Das Seil kommt zentimeterweise, während ich mich durch eine matschige Grasrinne nach oben arbeite. Wenigstens finde ich auf halber Strecke ein paar Walderdbeeren. Dann das Gipfelkreuz und – kein Stand weit und breit.
Ich suche alle logischen und weniger logischen Stellen ab. Es gibt keinen. Das Kreuz eignet sich nicht. Die Sonne knallt nur so herunter. Der einzige nahe Baum hat so niedrige Äste und steht so blöd am Hang, dass der Stamm unerreichbar ist. Ich habe auch keine Schlingen mehr und nicht genug Seil. Der Seilzug ist enorm und ich habe keine Ahnung, ob das Seil schon aus ist oder aus anderen Gründen nicht kommt. Ich überlege, einfach Körpersicherung vom hinter dem Gipfelkreuz abfallenden Hang zu machen, aber das ist mir in dieser Lage dann doch zu viel Improvisation. Schließlich fange ich mit dem Seil eine Art von Köpfel ein. Irgendwann ist der Bruder endlich oben und unser beider Genervtheit entlädt sich in einem Streit.
Der Abstieg zieht sich, wohl auch, weil ich viel zu weit in die Südflanke gerate und deswegen endlos im Steilwald traversieren muss.
Ich bin eigentlich kein Gegner von Klettertouren an den niedrigen Bergen der ersten Reihe und finde ein bisschen Gras normalerweise nicht störend. Die nicht gerade unbewachsene »Flora Bohra« am Leonhardstein bin ich schon zweimal mit Freude gegangen und die »Lebe deinen Traum« an der Benediktenwand habe ich sogar als wirklich tolle Tour in Erinnerung. Aber diese Route ist einfach ein völliger Käse. Selbst in den Seillängen mit Fels ist kaum ein Abschnitt länger als fünf Meter und kaum eine schöne Stelle dabei. Es ist alles nur kleinteiliges Gerampfe, Gras und Erde. Dann lieber die kürzeren Touren im unteren Wandteil klettern und auf dn Gipfel verzichten.
Etwa 650 Höhenmeter Zustieg und 200 Höhenmeter Kletterei.