Best of Genuss
Seit Wochen ist es heiß und trocken. Für den Sonntag sind wieder Temperaturen über 35°C vorhergesagt. Endlich klappt es bei mir einmal mit einer Mehrseillängenkletterei. Der Sportkletterpartner Rami hat sich bereitgefunden. Bei solchen Bedingungen bietet die Alpawand ein ideales Ziel. Wir entscheiden uns für die »Best of Genuss«.
Ich hole Rami bereits um 05:30 Uhr ab, so dass wir um 07:30 Uhr vom Parkplatz starten und den Einstieg gegen 08:40 Uhr erreichen. Trotzdem belegen wir im Wettlauf um die Pole Position nur den vierten und damit für heute letzten Platz. Zwei Seilschaften befinden sich bereits in der Route, eine weitere macht sich gerade bereit. Auch in den übrigen Touren wird schon eifrig geklettert. Wer von München anreisen muss, hat im Rennen um die besten Startplätze nun einmal schlechte Karten. Eine Seilschaft, die sich ihrer Sache ausreichend sicher ist, sollte erwägen, sich diesem Wettbewerb einfach zu entziehen und erst am frühen Nachmittag einzusteigen.
Die Kletterer am Einstieg machen einen vernünftigen und flotten Eindruck und so beschließen wir, ihnen mit etwas Abstand nachzufolgen. Ein paar Steine fliegen im Tagesverlauf an uns vorbei, doch insgesamt hält sich die Unbill ins Grenzen.
Um 09:10 Uhr starte ich schließlich in die erste Seillänge. Wir klettern die Tour komplett in Wechselführung, so dass mir alle Seillängen mit ungeraden Nummern zufallen. Ich habe das Original-Topo von Brüderl und Amann und eines von Panico dabei. Zur Wegfindung braucht man in dieser Route allerdings kein Topo, da man stets problemlos den dicht gesetzten Haken folgen kann. Später entdecke ich, dass es mittlerweile auch bei Bergsteigen.com eine Beschreibung mit Topo gibt. Die Schwierigkeitsangaben weichen bei den verschiedenen Autoren teilweise deutlich voneinander ab. So bewerten Brüderl und Amann die dritte Seillänge mit 5+, während Panico 7- vorschlägt. In der achten Seillänge ist es mit 7+ gegenüber 6+ umgekehrt. Die Angaben von Bergsteigen.com entsprechen Ramis und meiner Erinnerung am ehesten. Unabhängig von den Zahlenwerten liegen für mich heute alle Seillängen im Schwierigkeitsgrad »geht schon«, so dass ich die Tour komplett onsight klettern kann.
Zu Beginn zeigt sich die Route noch nicht von ihrer schönsten Seite. Das nach fünf Metern zur Überwindung eines erdigen Absatzes angebotene Fixseil nutze ich nicht, kann leichtes Gebrösel in Richtung Einstieg dann aber nicht ganz vermeiden. Anschließend wird der Fels rasch besser. Die ersten Längen sind technisch nicht sehr fordernd. Vielleicht deshalb finden wir nicht gleich in den richtigen Klettermodus. Wir sind beide unzufrieden mit unserer ungeschickten Darbietung und haben den Eindruck, dass die Kletterei anstrengender ist als nötig. Etwa ab der fünften Seillänge wird das Gelände steiler und anspruchsvoller und schließlich finden wir doch noch in einen Fluss und bekommen das Gefühl, tatsächlich zu klettern.
Die schwerste, achte Seillänge fällt mir im Nachstieg zu. Die erste anspruchsvolle Stelle erfordert einen etwas unsicheren Zug in eine seichte Verschneidung hinein. Dann kommen noch einmal ein paar leichtere Meter mit der Möglichkeit, für Fotos zu posieren, bevor es an eine Rechtsquerung geht, bei der die Griffe und Tritte zunehmend rar werden. Die Routenerschließer haben dem mit zwei aufgeklebten Steinen abgeholfen, die ich nun gerne nutze.
In Erinnerung bleibt auch die vierzehnte Seillänge. Zunächst muss in einen kaminartigen Schlund eingestiegen werden, was mit Rucksack nicht ganz ohne Geschrappe geht. Dann weitet sich die Schucht zu einer schönen Rissverschneidung, die leider nass und glitschig ist. Rami macht hier im Vorstieg einen folgenlosen Abflug. Ich umgehe die schleimigen Meter unschwierig in der linken Wand.
In der fünfzehnten Seillänge hänge ich ein kurzes Stück links oberhalb des Stands an einem großen Loch und suche nach dem Weiterweg. Mit heraufziehendem Pump erinnere ich mich plötzlich, in einem Topo von einem Schlitz rechts oben gelesen zu haben. War das diese Route und diese Seillänge? Tatsächlich findet sich dort die Lösung. »Onsight« im strengen Sinne ist das natürlich nicht.
Nach einigen weiteren kräftigen Zügen erreiche ich am Ende der Schwierigkeiten zwei mal zwei Bohrhaken, die aber im Unterschied zu allen vorherigen Ständen jeweils nicht verbunden sind. Ich überklettere sie und mache meinen letzten Stand an einem einzelnen Bohrhaken und einer wenig überzeugenden Sanduhr. Sinnvoller ist sicher die Empfehlung von Bergsteigen.com, stattdessen noch eine kurze sechzehnte Seillänge von den doppelten Bohrhaken bis zu den ersten Bäumen anzuhängen.
Wir sind beide keine schnellen Kletterer und auch unsere Abläufe an den Ständen sind nicht sonderlich optimiert. So brauchen wir auch diesmal etwa 07:45 Stunden bis zum Ausstieg, also in etwa die bei mir üblichen 30 Minuten pro Seillänge. Längere Pausen, Verhauer oder allzu schlimmen Seilsalat haben wir uns dabei nicht gegönnt.
Wieder erkläre ich den Ausstieg zum Gipfel. Der vom letzten Mal schon bekannte Abstieg ist leicht zu finden und geht deutlich schneller als in meiner Erinnerung. Unterhalb der Alpa-Alm löschen wir unseren Durst mit dem köstlichen, kalten Wasser eines Bachs. Nach insgesamt 11:15 Stunden erreichen wir gegen 18:45 Uhr das Auto. Die Heimfahrt verläuft relativ glatt und staufrei.
Obwohl die Tour fast durchgehend sehr gute Kletterei geboten und alles problemlos geklappt hat, bin ich dieses Mal nicht ganz so begeistert wie letztes Jahr nach der »Wassersymphonie« mit Leo. Wahrscheinlich liegt das zum Teil gerade an dieser Problemlosigkeit. Während letztes Jahr die noch unbekannte Wand, der hohe Schwierigkeitsgrad und das drohende Gewitter für einige Sorgen und eine umso größere Erleichterung hinterher gesorgt haben, war meine Erwartung diesmal, die Tour ohne besondere Schwierigkeiten absolvieren zu können. Entsprechend geringer fällt leider die Befriedigung aus.