Klammspitzen-Überschreitung

Bergtour
Ammergauer Alpen
1270 Hm
Kleine Klammspitze
1882 m
Große Klammspitze
1924 m

Eigentlich habe ich vor, wieder ins Karwendel zu fahren. Als sich nach sehr kurzer Nacht morgens statt der angekündigten Sonne deutliche Wolken zeigen, zögere ich allerdings bereits. Die weite Fahrt und der Gedanke an den abendlichen Rückreisestau wirken ebenfalls demotivierend. Dennoch fahre ich los. Als dann aber im Radio auch noch wolkenverhangene Berge und Regenschauer angekündigt werden, ändere ich meinen Plan. In Scharnitz ist nun bereits ab Mittag eine Regenwahrscheinlichkeit von 80% angekündigt, weiter nördlich sieht es besser aus. Zeit also, einen lange gehegten Plan in den Ammergauern umzusetzen.

Das neue Ziel bietet den zusätzlichen Vorteil, dass mehr als die Hälfte der Höhenmeter knieschonend mit dem Rad zurückgelegt werden. Um die Radelei etwas zu strecken, starte ich bereits in Graswang. Der steile Weg zur Brunnenkopfhütte ist gut frequentiert. Der ungewöhnliche Umstand des an meinem Rad fehlenden Motors wird lobend anerkannt.

Von Nina habe ich mir während der Anfahrt noch schnell die dürftige Beschreibung des Aufstiegs auf die Kleine Klammspitze aus dem Alpenvereinsführer schicken lassen (»Auf dem Grat oder knapp daneben in Rinnen auf den Gipfel«). Der Übergang auf die Große Klammspitze ist seltsamerweise überhaupt nicht erwähnt (18. Auflage).

Ich steige also vor dem Beginn der Felsen rechts im Gras in Richtung Grat auf. Dabei halte ich mich noch vor Erreichen der Grathöhe immer links, was sich als ungeschickt herausstellt, da das Gelände immer steiler und unangenehmer wird. So büße ich bereits vor Erreichen des Einstiegs einigen Schneid ein, den ich auf dem weiteren Weg erst zurückgewinnen muss. Bis zum Gipfel der Kleinen Klammspitze fühle ich mich etwas unsicher.

Jenseits des grasigen Grats verläuft etwas tiefer eine schottrige Rinne, die recht einfach gangbar aussieht. Ich jedoch halte mich links möglichst direkt am Grat, was Kraxelei über einige Stufen erfordert. Dann erreiche ich eine grasige und mit Latschen bestandene Abflachung. Direkt am Abbruch links umgehe ich die Latschen, bis ich eine grasige Kuppe erreiche. Hier treffe ich zwei sehr dicke Männer, die irgendwie von Norden heraufgekommen und nun etwas verloren sind.

Nach der Kuppe geht es in schöner Kletterei einige Meter in einer kaminartigen Rinne aufwärts. Nach einem Absatz folgt ein weiterer längerer Aufschwung, bei dem ich mich zunächst nahe der linken Gratkante, dann nahe der rechten Gratkante halte. Dann ist der Gipfel erreicht. Er wird hauptsächlich von einem Käser Schorsch aus Graswang besucht.

Hinter dem Gipfel führt eine sandige Rinne ein kurzes Stück hinunter zu einem recht schmalen Gratabschnitt, der noch einige Meter fast waagerecht in Richtung zur Großen Klammspitze verläuft. Dann kommt ein steiler Abbruch. Hier findet sich ein einzelner Normalhaken, der ausweislich recht neuer Reepschnüre noch zum Abseilen verwendet wird. Ich bin zunächst etwas ratlos. Geradeaus scheint es überhängend hinabzugehen, rechts ebenfalls. Nach links könnte man plattig, schwer und sehr exponiert zu einem leichter aussehenden Band queren. Keine Option ist attraktiv. Hinterher lese ich, dass man wohl doch rechts durch eine Art Kamin abklettern kann. Ich jedoch steige wieder ein kurzes Stück zurück bis oberhalb des Abseilhakens und klettere dort weniger schwer nach (in Blickrichtung zur Großen Klammspitze) links ab, bis ich das schon erwähnte Band erreiche. Über dieses und anschließende Schrofen gelange ich in die Scharte zwischen den Klammspitzen.

Den Anstieg auf die Große Klammspitze wähle ich mangels Wegbeschreibung und Markierungen frei nach Gefühl und Augenschein. Es gibt sicher zahlreiche Möglichkeiten. Mir ist dabei meist eine etwas schwierigere Kletterstelle in gutem Fels lieber als eine klettertechnisch leichtere Stelle auf schottrigem Untergrund. Es macht für mich wenig Unterschied, ob die Schwierigkeiten II, III oder IV sein sollen, wenn die Griffe und Tritte ausreichend und fest sind. Eine I-Stelle im ausgesetzen Bruchgelände kann viel unangenehmer sein.

Zunächst geht es eine schrofige Rampe oder Rinne gerade hoch. Eine anschließende schluchtartige Rinne erweist sich als zu nass und glitschig. Daher quere ich lieber etwas plattig und griffarm nach rechts um eine Kante und weiter aufwärts, vermutlich die klettertechnisch anspruchsvollste Stelle. Im Weiteren wechseln sich Absätze und kurze Aufschwünge ab, der Fels ist meist gut. Schließlich erreiche ich den Grat und umgehe den finalen Aufschwung faul in der Flanke links, wo ich auf die letzten Meter des Normalwegs treffe.

Am Gipfel ist viel los. Allerdings hat niemand meine Heldentat bemerkt und so verzichte ich darauf, die Arme hochzureißen. Über den Normalweg gehe ich zurück zur Brunnenkopfhütte, wo touristische Heerscharen mit Kaiserschmarrn verköstigt werden. Die Abfahrt und der Rückweg zum Parkplatz gehen schnell und bequem.